Das statistisch für das Jahr 2017 zum 8. Mal in Folge ermittelte bundesweite Umsatzplus im Handel erfreut die Einzelhändler und den Handelsverband NRW Westfalen-Münsterland. Allerdings spiegelt das Plus nicht die Umsatzverteilung auf die unterschiedlichen Branchen, Vertriebsformen und Betriebsgrößen eindeutig wieder: Wachstumstreiber bleibt der Online-Handel, der erneut überdurchschnittlich gut mit einem Plus von nominal 11 % abgeschnitten hat, wohingegen der stationäre Handel gerade einmal ein Umsatzplus von nominal knapp 2 % verzeichnete, was preisbereinigt eher einer Stagnation gleichkommt. Dieses Fazit ziehen der Vorsitzende des Handelsverbandes NRW Westfalen-Münsterland Michael Radau und Verbandsgeschäftsführer Thomas Schäfer anlässlich der diesjährigen Beiratssitzung des Verbandes im Westfälischen Industrieklub zu Dortmund.

Die bundesweit ermittelten Zahlen treffen nach Auskunft von Radau im Wesentlichen auch auf das Verbandsgebiet zu, allerdings in erster Linie auf die Großstädte, wohingegen in kleineren Städten sowie in ländlichen Gebieten nicht überall Zufriedenheit besteht. „Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen verzeichnen im Gegensatz zu den Großen der Branche deutlich geringere Umsätze,“ so Radau, „was häufig auch auf die unterschiedlichen Standortqualitäten zurückzuführen ist. Die 1-A-Lagen in den Oberzentren werden immer öfter ausschließlich noch von Groß- und Filialbetrieben, Einkaufscentern und Warenhäusern geprägt, mit der Folge, dass B- oder C-Lagen, Nebenzentren, Vororte und kleinere Städte nicht oder nicht mehr so oft von den Kunden aufgesucht werden.“ Und Schäfer ergänzt, dass sich gerade die größeren Handelsunternehmen oftmals die gute wirtschaftliche Lage doppelt zunutze machten – sie befinden sich überwiegend in den besser frequentierten A-Lagen und stützen sich zusätzlich auf eigene Online-Aktivitäten.

Die Verbandschefs empfehlen allen Akteuren, sich intensiv mit den Chancen der Digitalisierung auseinanderzusetzen. „Ohne Sichtbarkeit im Netz und ohne digitalen Umgang mit dem Kunden werden es Händler immer schwerer haben, sich am Markt zu behaupten“, so Radau, der zugleich von Politik und Verwaltung erwartet, dass den Händlern nicht durch gut gemeinte, aber oftmals viel zu bürokratisch angelegte Auflagen und Pflichten, die Chance zum digitalen Wandel genommen wird, bevor sie überhaupt genutzt werden kann. Die Lebensqualität der Innenstädte hängt nach Radaus Überzeugung wesentlich vom attraktiven Einzelhandel ab: „Er fördert Gastronomie, Kultur und Gewerbe, er schafft Arbeit, Steuereinnahmen und Vielfalt und er sorgt für Attraktivität und Urbanität jedes Standorts. Deshalb sollten alle Akteure -Politik, Verwaltung, Unternehmer und Hauseigentümer gleichermaßen- ihre Entscheidungen und ihr Handeln auch davon leiten lassen, was gut für den Einzelhandel, gut für lebendige Innenstädte und gut für die Lebensqualität der Bevölkerung ist. Wenn der Handel auch zukünftig wirtschaftskräftiger Job-Motor und attraktiv für Besucher von Städten und Kommunen bleiben soll, dann muss er jetzt zukunftsfähig gestaltet werden und darf nicht durch uner-füllbares Wunschdenken, überbordende Bürokratie und unzureichende infrastrukturelle Rahmenbedingungen an der gebotenen digitalen Entwicklung gehindert werden.“

Kritisch sieht der Handelsverband auch die Diskussion um drohende Fahrverbote. Denn jeder innerstädtische Handelsstandort muss für Logistik und Kunden erreichbar bleiben. Deshalb wirken sich pauschale Fahrverbote negativ auf den Handel und die Städte aus und das in Zeiten, in denen Kommunen und Handel in vielen Stadtzentren ohnehin schon mit rückläufigen Kundenzahlen kämpfen. „Fahrverbote werden diese Entwicklung weiter verschärfen und alle Bemühungen um den Erhalt attraktiver und vitaler Innenstädte durchkreuzen,“ mahnt Thomas Schäfer und ergänzt, „als Folge von Fahrverboten werden sich Kunden noch mehr in Richtung Online-Handel, Fachmarktzentren und grüner Wiese orientieren.“ Gefragt sei deshalb ein ganzheitliches Konzept für eine echte Verkehrswende – kein Schnellschuss, dessen Folgen nicht nur nach Meinung Thomas Schäfers für die Luftreinhaltung ohnehin mehr als fraglich ist, zumal bereits alle Maßnahmen der Vergangenheit zu einer deutlichen Reduzierung der Belastungen geführt haben.

Aus Sicht des Handelsverbandes ist aber auch klar, dass attraktive Innenstädte saubere Luft brauchen. Deshalb unterstützt der Handel grundsätzlich die Verbesserung der Luftbelastung und sieht sich gleichermaßen verantwortlich in der Verkehrswende. Verbandsvorsitzender Radau fordert: „Allerdings sollten verhältnismäßige Übergangsfristen geschaffen werden und die Politik muss Förder-anreize für alternative Logistikdienstleistungen und neue Antriebsformen schaffen. Denn nicht nur der Händler ist auf die Hersteller von schadstofffreien Fahrzeugen, auf eine Förderung von Fahrzeugen mit neuen Antriebstechnologien sowie auf den weiteren Ausbau eines kundenorientierten öffentlichen Nahverkehrs angewiesen. Zudem sollten, dort wo es möglich ist, die Vorgaben für eine Belieferung bei Nacht gelockert werden, so dass der Verkehr am Tag entzerrt werden kann.“

Zum Thema verkaufsoffene Sonntage hat der Handelsverband Westfalen-Münsterland eine klare Meinung: Der durch das neue LÖG zutage getretene gesetzgeberische Wille nach einer maßvollen und rechtssicheren Zulassung einiger weniger verkaufsoffener Sonntage muss rechtssicher umsetzbar sein. Denn verkaufsoffene Sonntage sind nicht nur Garant für Aufmerksamkeit und steigende Besucherzahlen, von denen Handel und Stadt gleichermaßen profitieren. Sie sichern den Händlern vor Ort auch einen Umsatzanteil, der durch den Wegfall von Sonntagsöffnungen unwiederbringlich wegbricht. Insoweit tragen verkaufsoffene Sonntage auch zur Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen bei. Thomas Schäfer weist insoweit darauf hin, dass der Handel darauf angewiesen sei, spezielle Gegebenheiten zu nutzen. „So kann der Handel seine Vielfalt und Leistungsfähigkeit demonstrieren und passionierte „In-die-nächste-große-Stadt-Fahrer“ zur Rückkehr in heimatliche Shoppinggefilde überzeugen,“ sagt Schäfer und fährt fort: „Die Menschenmassen, die sich an verkaufsoffenen Sonn-tagen durch die Städte drängen oder die sonntäglichen Peaks bei den Bestelleingängen der Online-Shopbetreiber und Online-Marktplatzhändler und erst Recht die Autokolonnen, die sich sonntags die NRW-Autobahnen entlang Richtung Niederlande schieben, zeigen deutlich, dass die Debatte um die Sonntagsöffnung an der Lebensrealität der Menschen vorbeigeht.“ Der Verband plädiert daher dafür, dass sich alle Beteiligten gemeinsam um eine ausgewogene und handhabbare Nutzung der Möglichkeiten des neuen LÖG NRW bemühen.“

Im Anschluss an die Beiratssitzung trafen sich rund 75 Personen aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft zur öffentlichen Veranstaltung „Handel im Gespräch“. Nach Grußworten des Verbandsvorsitzenden Michael Radau und des Dortmunder Oberbürgermeisters Ullrich Sierau, der viele Befürchtungen des Handels entkräften konnte und den Anwesenden mit seinen Äußerungen zu Dieselfahrverboten und zu Sonntagsöffnungen den Anwesenden aus dem Herzen sprach, veranschau-lichte Thomas Szabo von der Werbeagentur act & react aus Dortmund in seiner Festrede zur digitalen Ethik anhand zahlreicher Beispiele, wie der rasante digitale Wandel durch ethische Grundsätze verantwortungsvoll und mit Verstand von jedem Einzelnen gestaltet werden kann.